Wie sich die Videospielindustrie selbst degradiert | Essay
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Stack -
13. Mai 2023 um 18:00 -
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Das läuft falsch!
- Wie sich die Videospielindustrie selbst degradiert -
Ich hatte genug. Nachdem ich kürzlich „Die Siedler: Neue Allianzen“ anspielte und es mir dabei sauer hochkam, wollte ich einfach nicht mehr. Ich saß vor einem Stück Software, das sich wie ein Schlag ins Gesicht für jeden Siedler-Fan anfühlte. Nichts schien richtig zu sein. Der Multiplayer funktionierte in den Tagen nach dem Release überhaupt nicht, immer wieder flogen Spieler aus ihren Lobbys oder konnten gar nicht erst eine Runde starten. Das Gameplay des neuesten Siedler-Ablegers ist mit „simpel“ noch am nettesten zu beschreiben. Persönlich würde ich das Spiel eher als Dorfbauspiel für geistig zurückgebliebene Halbaffen bezeichnen.
Kurz um: Dieses Spiel ist so richtig mies. Und ich fragte mich: Warum ist das eigentlich so? Warum haben mich in den vergangenen Jahren so viele Spiele, auf die ich mich mal richtig gefreut habe, so sehr enttäuscht? Wieso kamen sie in einem unmöglichen Zustand auf den Markt? Warum werden Konzepte Mitten in der Entwicklung komplett umgeworfen? Um diese Fragen zu beantworten, gilt es zu verstehen, wie Videospiele heutzutage entstehen und nach welchen Grundprinzipien ihr Markt aufgebaut ist.
Das was hier aussieht wie ein missratenes Silvesterfeuerwerk ist übrigens ein Pfeilhagel eines Wehrturms in „Die Siedler: Neue Allianzen“. Ziemlich kacke. (Bildquelle: GamersGlobal.de)
Die Videospielbranche war in den vergangenen zehn Jahren vielen Veränderungen unterworfen. Die Spielegrafik wurde immer besser, die technischen Möglichkeiten immer ausgereifter. Videospiele sind in dieser Zeit im Mainstream angekommen. Die Debatten um „Killerspiele“ und den vermeintlich „schädlichen Einflüssen“ von Videospielen gehören glücklicherweise weitestgehend der Vergangenheit an.
Games sind zu einem Medienprodukt wie Musik, Filme und Serien geworden. Sie sind ein fester Teil in der Freizeitgestaltung vieler Menschen. 3,2 Milliarden Menschen spielen nach Branchenerhebungen heutzutage Videospiele. 200 Milliarden Dollar wurden im vergangenen Jahr in der Branche umgesetzt. Ein Rekordwert, der sich über die nächsten Jahre weiter steigern dürfte.
Diese Erfolge sind erst einmal beachtlich. Doch gehen sie mit Entwicklungen einher, die alles andere als erfreulich sind. Während sich Entwickler früher in ihrer jeweiligen Nische austoben durften, fesseln sie Publisher und Investoren heutzutage an den Massenmarkt. Egal ob Shooter oder Strategiespiel: Ein Spiel sollte im Optimalfall immer möglichst alle Zielgruppen ansprechen. Analysten sagen dann die meisten Verkäufe und einen maximierten Gewinn voraus. Die Aktionäre von EA, Ubisoft und Co. reiben sich die Hände. Naja, zumindest dann, wenn nicht gerade wieder irgendwelche Mitglieder einer Chefetage ihre Mitarbeiterinnen sexuell belästigen, in den Suizid treiben und die Belegschaft wie Dreck behandeln - Grüße an dieser Stelle an Activision Blizzard und Glückwunsch zum Award "Miesester Arbeitgeber jemals".
Steigende Umsätze: Die Corona-Pandemie hat das Wachstum in der Videospielindustrie übrigens weiter angekurbelt. (Bildquelle: Block-Builders.de)
Es wird euch nicht verwundern, wenn ich hier die Aussage treffe, dass es den großen Videospielkonzernen nur noch ums Geld geht. Das ist an sich auch keine neue Nachricht. Ich finde es nur erschreckend, welche Ausmaße diese Gier mittlerweile angenommen hat.
Über Jahrzehnte kämpften Entwickler dafür, dass ihre Games als kulturelle Güter wahrgenommen werden. Videospiele sollten Kultur- und Kunstform sein. Im Namen „Electronic Arts“ ist dieser Wunsch nach künstlerischer Anerkennung ja bereits in den 90er Jahren enthalten gewesen. Von diesen Ansprüchen scheint bei Titeln wie „Battlefield 2042“ und bei Activision mit „Call of Duty: Vanguard“ nichts mehr übrig geblieben zu sein. Gleiches gilt für die einst so großartige „Assassin´s Creed“-Reihe, die spätestens mit den beiden jüngsten Ablegern einem endlosen Gigantismus verfallen ist.
Wichtig scheint den Entwicklern jetzt andere Dinge zu sein. Neben Echtgeldshop und kostenpflichtigen Zusatzinhalten braucht es in jedem Spiel maximale Diversität. Games, die ein historisches Setting wählen, mit Realismus und Authentizität werben, verkommen auf einmal zu Abbildungen unserer versnobten und wohlstandsverwöhnten Gesellschaft des Jahres 2023. Großartige Videospielstorys, wie die von „Star Wars: Knights of the Old Republic“, werden Jahre später für Remakes umgeschrieben, um möglichst dem aktuellen Zeitgeist zu entsprechen. Das alles nur um die großen Massen ansprechen zu können.
Das, liebe Leser, ist der zweite Weltkrieg - Also zumindest, möchte Activision einem das Weiß machen. Denn tatsächlich warb der Konzern bei Release von CoD: Vanguard mit Realismus. Ein schlechter Scherz. (Bildquelle: callofduty.com)
Videospielfirmen entwickeln heute also teilweise bewusst an den Fans vorbei. Es sollen neue Märkte erschlossen und mehr Spieler angesprochen werden. Steigende Umsätze geben den Unternehmen Recht. Doch stelle ich an dieser Stelle die These auf, dass diese nicht auf nachhaltiges Wachstum zurückzuführen sind. So mag Battlefield 2042 mit einem großen Echtgeldshop letztlich mehr Geld eingespielt haben als beispielsweise Battlefield 1. Doch waren die Verkaufszahlen von Battlefield 1 höher. Das Spiel war um Welten besser, gewann unzählige Fans, die mit der jüngsten Fortsetzung nun verprellt wurden.
Es ist ein Muster, das auch in anderen Videospielreihen zu beobachten ist. Entwickler merken, dass sie ihre etablierte Spielerschaft schlechter erreichen, oft vor den Kopf stoßen. Dies wird im Sinne der Gewinnung von Neukunden dann aber ignoriert. Casualgamer sind die Cashcows die es zu melken gilt. Daran werden wir uns leider gewöhnen müssen. Und das ist auch der Grund, warum meine geliebte Siedler-Reihe so zu Grund gerichtet wurde, oder warum FireFly Studios die Stronghold-Reihe mit „Stronghold Warlords“ nach Asien verfrachtete. Asien macht eben fast 50 Prozent des weltweiten Videospielmarkts aus.
Selbst Firmen die einst für Qualität bis ins letzte Detail standen, können dem Wenig entgegensetzen. CD-Projekt: Red verzockte sich mit dem katastrophalen Release von „Cyberpunk 2077“, Rockstar Games lieferte mit den irrsinnig schlechten und überteuerten Remakes einiger früher GTA-Spiele eine einzige große Frechheit ab. Spiele, die im Kern eigentlich gute Produkte sind - Cyberpunk 2077 bietet eine tolle Story, mit interessantem Gameplay und einer einzigartigen Open World - werden durch die äußeren Umstände abgewertet. Technische Macken hat mittlerweile nahezu jeder AAA-Titel. Zeit- und Gelddruck bestimmen mehr denn je die Entwicklungsprozesse. Selbst beim renommierten Studio Naughty Dog, unter anderem bekannt für die großartige Uncharted-Reihe, wurden Mitarbeiter in den vergangenen Jahren zu unbezahlten Überstunden getrieben.
Der PC-Port von „The Last of Us“ verkam zur Glitch- und Bug-Parade. Offenbar wollte Entwickler Naughty Dog dem Port nicht noch mehr Zeit und Ressourcen zukommen lassen und der Release wurde trotz dieser Fehler durchgezogen. (Bildquelle: GamePro.de)
Zudem verlagern immer mehr Unternehmen ihren Fokus auf den hochprofitablen Smartphone-Markt. Mobile Games machen bereits heute den Großteil der Umsätze vieler Videospielfirmen aus. Auch bietet sich hier das größte Wachstumspotential. PC und Konsolen bilden für viele potentielle Kunden zu hohe Einstiegshürden. „Warum soll ich dafür extra Geld ausgeben“, fragt sich da mancher. Der Griff zum Smartphone ist für viele Einsteiger da einfacher und erstmal auch günstiger. Immerhin sind die meisten Spiele im App oder Play Store ohnehin kostenlos.
Mikrotransaktionen, die dann aber immer nur von einem relativ kleinen Teil der Spieler getätigt werden, führen dann zu fetten Gewinnen für die entsprechenden Unternehmen. Der geringe Entwicklungsaufwand hält die eigenen Kosten niedrig. Dieses Prinzip hat sich schon seit Längerem auch auf PC- und Konsolen-Titel übertragen. Früher setzten viele Entwickler hier noch recht häufig auf DLCs. Mittlerweile sind diese seltener geworden und wurden durch Shops ersetzt, in denen es dann Items zu kaufen gibt. Lootboxen stehen symbolisch für diese widerwärtige Verkaufspolitik.
Auf der anderen Seite werden bestimmte Spieletitel auch immer teurer in der Entwicklung. Open World Games verschlingen so Unmengen an Ressourcen. Es gibt Spiele, bei denen sich dieser riesige Aufwand gelohnt hat. Gerade Red Dead Redemption 2 hat gezeigt, wie großartig ein gutes Open World Spiel sein kann. Doch für jedes positive Beispiel fallen mir dabei drei Negative ein. Die bereits erwähnte „Assassin´s Creed“-Reihe hat die Open World Formel auf die Spitze getrieben. Mit „Assassin´s Creed Valhalla“ lieferte Ubisoft dann einen Titel, der vor allem an seiner überdimensionierten Größe scheiterte. Eine sinnige, zusammenhängende Story konnte das Spiel nicht mehr erzählen. Spieldurchläufe endeten meist in einem nicht enden wollenden Klein-Klein aus Nebenaufgaben, Aktivitäten und Loot-Optionen. Das ist dann einfach nur noch zu viel.
All diese Probleme schaden der Gaming-Szene als Ganzes. Und was am schlimmsten ist: Die Videospielindustrie degradiert sich mit all dem selbst zu einem austauschbaren Konsumprodukt, ohne Herz und Seele. Spieltiefe sucht man in vielen Spielen heute vergebens. Eine Szene, die einst vor Kreativität strotzte, rostet ein und verkommt zum grauen Massenphänomen. Das ist letztlich nicht nur furchtbar schade, sondern eigentlich auch überhaupt nicht notwendig.
Bei „Need for Speed Payback“ warb man im Vorfeld mit der größten Open World der Reihe. Die gab es dann auch. Nur verkam diese zu einer staubigen, öden und nicht enden wollenden Wüste. Diese Karte zeigt übrigens die Welt von „Need for Hier ist nichts“. (Bildquelle: GameZ.de)
Ich behaupte, dass es der Videospielindustrie auch ohne übermäßigen Druck für die Entwickler, einer faireren Preispolitik und besseren Produkten sehr gut gehen würde. Aktuelle Spieltitel, die diesen benutzerfreundlicheren Ansatz verfolgen feiern ja bereits große Erfolge. Indie-Entwickler erfreuen sich großer Beliebtheit. Und Kickstartererfolge wie „Kingdom Come: Deliverance“ zeigen doch, dass man ein Spiel nicht immer nach dem Mainstream ausrichten muss. FromSoftwares „Elden Ring“ bewies, dass Spiele auch heute noch bockschwer seien dürfen und dennoch großen Erfolg haben.
Es wäre schön, wenn das auch die großen Player der Gaming-Branche erkennen und wieder zurück zu ihren Wurzeln finden würden. Wie großartig wäre es wohl, wenn sich diese Unternehmen von den hier genannten, abstoßenden Praktiken abwenden würden? Doch damit ein solcher Wandel eintreten kann, braucht es die Initiative von Spielern wie uns. Es gilt sich zu organisieren und Titel, die es einfach nicht verdient haben gespielt zu werden, zu boykottieren und nicht zu kaufen.
Für die „Die Siedler: Neue Allianzen“ habe ich mir erstmal mein Geld zurückgeben lassen. Um ehrlich zu sein, hatte ich das sogar schon von Anfang an vor, da abzusehen war, was für eine Katastrophe dieses Spiel werden wird. Und jedem anderen kann ich nur raten: Bestellt keine Spiele mehr vor, wartet auf Reviews und Meinungen von anderen Spielern und vertraut niemals auf das, was ihr in einem Trailer seht. In diesem Sinne: Weiterspielen!
Über den Verfasser:
Flo aka Stack (20) ist Student,
Spiele-Enthusiast und Lokaljournalist.
Seit dem 16. Februar 2019 ist er
Mitglied der EGM-Community.
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