Woke Washing - Das Problem mit falscher Diversity in Filmen, Serien und Videospielen | Essay
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10. August 2024 um 17:30 -
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"Woke Washing" ist ein Begriff, der sich auf das Phänomen bezieht, bei dem Unternehmen, insbesondere in der Unterhaltungsindustrie, Diversität und Inklusion in ihren Produkten oberflächlich darstellen, um als progressiv zu erscheinen. Oft geschieht dies aus kommerziellen oder Imagegründen, ohne dass echte Anstrengungen unternommen werden, die zugrunde liegenden Strukturen zu verändern oder die gezeigten Charaktere und Themen authentisch zu repräsentieren. In diesem Artikel haben wir uns mit dem Problem auseinandergesetzt und zeigen auf, wie gelebte Vielfalt in Filmen, Serien und Videospielen richtig umgesetzt werden kann.
Definition und Ursprünge
"Woke Washing" setzt sich aus den Begriffen "woke", einem Slangbegriff, der für ein bewusstes soziales und politisches Bewusstsein stehen soll, und "whitewashing" zusammen. Letzteres beschreibt die Praxis, Nicht-weiße Charaktere in Medienproduktionen durch weiße Schauspieler darzustellen oder die kulturellen Aspekte von Geschichten zu verbergen. "Woke Washing" ist eine moderne Variante, bei der Unternehmen oberflächlich progressive Werte zur Schau stellen, während sie tatsächlich wenig tun, um diese Werte auf tieferer Ebene zu unterstützen.
Beispiele aus der Film und Serienwelt
In der Film- und Serienwelt zeigt sich "Woke Washing" oft durch die Besetzung von verschiedenen Ethnien, Geschlechtern oder sexuellen Orientierungen, ohne dass diese Figuren eine substanzielle Rolle spielen oder ihre Charakterisierung über Stereotype hinausgeht. Ein typisches Beispiel ist die sogenannte "Tokenism", bei der eine marginalisierte Figur in eine Geschichte eingefügt wird, ohne dass ihre Präsenz wirklich Bedeutung hat oder ihre Geschichte tiefgehend erforscht wird.
Gerade in den vergangenen Jahren wurden die Cast für Filme und Serien zusehends Diverser. Das lässt sich tatsächlich auch messen, wie erste Studien zeigen. Doch wurde durch die diversere Besetzung tatsächlich auch etwas für Toleranz und Vielfalt getan? Wohl kaum. Der Verdacht liegt nahe, dass Produktionsfirmen vor allem aus oberflächlichen Gründen handeln. Kritik wird dabei abgetan. Das zeigte sich zuletzt ja auch bei Star Wars: The Acolyte.
Queen Cleopatra, eine Netflix Doku-Serie, löste einen regelrechten Skandal aus. (Bildquelle: Netflix)
Ein weiteres Beispiel sind Filme und Serien, die Diversität nur auf der Oberfläche zeigen, aber die kulturellen oder historischen Kontexte der Charaktere ignorieren. Die Diversität wird hier oft als Mittel eingesetzt, um eine breitere Zielgruppe anzusprechen, während die Tiefe und Authentizität vernachlässigt werden. Fatal werden solche Fehler im Kontext von Dokumentationen. So geschehen bei "Queen Cleopatra", einer Netflix Doku-Serie.
Eine der größten Kontroversen entstand aufgrund der Entscheidung, Kleopatra, die historische Königin von Ägypten, von einer schwarzen Schauspielerin darstellen zu lassen. Kritiker argumentierten, dass dies eine ungenaue Darstellung ihrer ethnischen Zugehörigkeit sei. Kleopatra stammte aus der ptolemäischen Dynastie, die griechisch-makedonischen Ursprungs war. Eine afrikanische Abstammung gilt unter Forschern als ausgeschlossen. Dieser Aspekt der Serie und der Fakt, dass in dieser große Teile der antiken ägyptischen Gesellschaft ebenfalls mit schwarzer Hautfarbe dargestellt werden, führte insbesondere in Ägypten zu heftigen Reaktionen. Viele Ägypter empfanden die Darstellung als Versuch, die ägyptische Geschichte zu verfälschen oder zu appropriieren. Es wurde argumentiert, dass die Serie eine politisierte Version der Geschichte darstellt, die nicht mit den historisch anerkannten Fakten übereinstimmt.
Neben der Frage der ethnischen Zugehörigkeit wurde die Serie auch für andere historische Ungenauigkeiten kritisiert. Einige Historiker und Zuschauer bemängelten, dass die Serie eine stark vereinfachte und modernisierte Version von Kleopatras Leben und Herrschaft präsentiert, die nicht den komplexen historischen Kontext widerspiegelt. So wurde der spätere römische Kaiser Augustus als Rassist dargestellt. Die Doku-Serie wurde deswegen beschuldigt, historische Fakten zugunsten einer dramatischeren Erzählung verzerrt zu haben, was das Verständnis der Zuschauer für die tatsächlichen historischen Ereignisse beeinträchtigen könnte.
Die Kontroversen um die Serie lösten eine breite Debatte in den sozialen Medien und in der Öffentlichkeit aus. Es gab Boykottaufrufe und eine Flut von negativen Bewertungen. Einige Verteidiger der Serie argumentierten, dass die Darstellung von Kleopatra als schwarze Frau eine Bereicherung darstellt und eine alternative Perspektive auf historische Figuren bietet, die oft in einer engen westlichen Sichtweise gefangen sind. Das mag für einen Spielfilm vielleicht noch zutreffen sein. In einer Dokumentation sollten geschichtliche Fakten aber an oberster Stelle stehen.
Videospiele und Woke Washing
Auch in der Welt der Videospiele ist "Woke Washing" ein Thema. Oft wird Diversität in den Spielen lediglich auf einer oberflächlichen Ebene präsentiert – beispielsweise durch das Hinzufügen von Charakteren mit verschiedenen ethnischen Hintergründen oder Geschlechteridentitäten – ohne dass dies einen Einfluss auf die Spielmechanik oder die Geschichte hat. Es gibt viele Fälle, in denen diese Diversität lediglich als Marketingstrategie genutzt wird, um ein progressives Image zu fördern, ohne dass sich dies in den Inhalten des Spiels widerspiegelt.
Weibliche Charaktere und das Mary-Sue-Prinzip
Ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit "Woke Washing" auftritt, ist die Darstellung weiblicher Charaktere nach dem Prinzip der sogenannten "Mary Sue". Eine Mary Sue ist eine Figur, die oft unrealistisch perfekt und ohne echte Schwächen dargestellt wird. Sie hat keine charakterlichen Makel, meistert jede Herausforderung mühelos und wird von den anderen Figuren fast immer bewundert. Diese Art von Charakterisierung wird oft kritisiert, da sie weder glaubwürdig noch tiefgründig ist und dazu tendiert, die komplexen Realitäten, denen Frauen in der realen Welt begegnen, zu ignorieren.
Das Mary-Sue-Prinzip wird häufig in Filmen, Serien und Videospielen angewandt, um den Anschein eines starken, weiblichen Charakters zu erwecken, ohne dass dieser Charakter tatsächlich gut ausgearbeitet ist. Statt einer nuancierten, mehrdimensionalen Frau sehen wir eine Figur, die aufgrund ihrer Perfektion schwer greifbar ist. Solche Darstellungen können ebenso schädlich sein wie die völlige Abwesenheit starker weiblicher Charaktere, da sie unrealistische Erwartungen schaffen und verhindern, dass sich gerade Zuschauerinnen und Spielerinnen sich wirklich mit diesen Figuren identifizieren können.
Diese Art von oberflächlicher Charakterisierung ist ein weiteres Beispiel für "Woke Washing", da sie oft als einfachste Möglichkeit angesehen wird, um Diversität und Inklusion zu zeigen, ohne sich tiefgehend mit den Herausforderungen und Nuancen weiblicher Erfahrungen auseinanderzusetzen. Echte Diversität bedeutet, Frauen in all ihrer Komplexität zu zeigen – mit Stärken, Schwächen, Fehlern und Wachstumsprozessen. Nur so können weibliche Charaktere authentisch und inspirierend sein, anstatt bloß eine weitere Marke im Diversitäts-Check zu erfüllen.
Echte Heldin versus Mary Sue-ganz bestimmt nicht Skywalker (Bildquelle: CBR.com)
Rey, die Protagonistin der Star Wars Sequels (Episode VII–IX), ist ein perfektes Beispiel für eine Mary Sue. Sie zeigt von Anfang an außergewöhnliche Fähigkeiten, die oft nicht erklärt oder entwickelt werden. Rey erlernt Machtfähigkeiten, die Jedi traditionell jahrelang trainieren müssen, fast mühelos. Sie wird selten vor echte Herausforderungen gestellt, die sie nicht unmittelbar meistern kann, und sie hat wenige nennenswerte Schwächen oder Fehler, die ihre Charakterentwicklung vorantreiben könnten.
Ahsoka Tano, die ursprünglich in Star Wars: The Clone Wars eingeführt wurde, hat eine deutlich andere Charakterentwicklung durchlaufen. Als Padawan von Anakin Skywalker beginnt Ahsoka als junge und unerfahrene Figur, die im Laufe der Serie erheblich wächst. Ihre Fähigkeiten entwickeln sich durch hartes Training, Erfahrung und auch durch Rückschläge. Ahsoka wird mit moralischen Dilemmata konfrontiert, macht Fehler und lernt daraus, was sie zu einer vielschichtigen und glaubwürdigen Figur macht. Ihre Entwicklung ist klar erkennbar, und sie wird nicht als perfekt dargestellt, sondern als jemand, der durch Herausforderungen und persönliche Kämpfe gestärkt wird. In der Star Wars: Rebels und ihrer eigenen Serie wird ihre Reife und Tiefe weiter ausgebaut, was sie zu einem der beliebtesten und respektiertesten Charaktere im Star Wars-Universum gemacht hat.
Ahsokas Entwicklung zeigt, wie eine weibliche Figur glaubwürdig wachsen und sich entwickeln kann. Sie repräsentiert damit eine tiefere, nuanciertere Herangehensweise an weibliche Charaktere, die nicht nur durch ihre Stärke, sondern auch durch ihre Fehler und Lernprozesse definiert werden. Dieser Unterschied macht Ahsoka Tano zu einer Figur, die für viele Zuschauer inspirierender und nachvollziehbarer ist als Rey.
Amazons absurde Diversitätsregeln und deren Folgen
Mitte 2021 veröffentlichen die Amazon Studios neue Diversity-Regeln, die unter anderem festlegen, dass Schauspieler nur noch Rollen spielen sollen, die ihrer eigenen Identität entsprechen (z.B. nur mexikanische Schauspieler sollen Mexikaner spielen, nur lesbische Schauspielerinnen lesbische Personen, nur Borderliner an Borderline erkrankte usw.). Die Maßnahmen, die eigentlich für mehr Authentizität in den Geschichten sorgen sollen, sind schädlich für Kunstfreiheit und Kultur.
Der Zeit-Kolumnist Andreas Bernard kritisierte diese neuen Richtlinien in einem Artikel ausdrücklich. Bernard verweist auf den französischen Philosophen Denis Diderot, der vor fast 250 Jahren argumentierte, dass wahre Schauspielkunst darin besteht, verschiedene Charaktere überzeugend darzustellen, ohne dass der Schauspieler selbst die dargestellten Emotionen wirklich fühlen muss. Diderot betonte, dass ein guter Schauspieler gerade durch seine Distanz zur Rolle überzeugt. Die neuen Amazon-Richtlinien, so die Kritik, könnten die Kunst der Schauspielerei einschränken und die Grenze zwischen Realität und Fiktion unnötig verwischen.
Der Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt thematisierte die Amazon-Rules in einem Video. Als freier Journalist schreibt er Film- und Literaturkritiken unter anderem für die Rhein-Zeitung und die linksgerichtete Neues Deutschland.
Hinzu kommt, dass das "Inclusion Playbook" auch festlegt, wie divers Production Crews aufgestellt seien müssen. Heißt: Filmschaffende müssen bei Amazon ihre Kolleginnen und Kollegen nach Ethnie, Geschlecht, Sexualität etc. auswählen. Das Problem: Kompetenz und künstlerische Interessen rücken in den Hintergrund. Gleichzeitig müssen auch die Inhalte der Film- und Serienprojekte neuen Regularien entsprechen.
Das "Playbook" versucht beispielsweise Begriffe neu zu definieren. Darin heißt es, dass "Dschihad" ("Heiliger Krieg") übersetzt "Streben nach und Kampf für Gott" bedeutet. Der Begriff solle, obwohl er häufig von islamistischen Terroristen verwendet wird, nicht mit Islamismus in Verbindung gebracht werden. Das Playbook impliziert letztlich auch, dass rassistische Ausdrücke (wie das N-Wort) vermieden werden sollen. Wie das in einem Film über Sklaverei im 19. Jahrhundert oder die Unterdrückung schwarzer Menschen im Amerika der 50er Jahre funktionieren soll, ohne Geschichte zu leugnen, bleibt ein Rätsel.
So schaden die Diversity Regeln der Amazon Studios letztlich dem Ziel die Gesellschaft für Intoleranz zu sensibilisieren. Das Playbook scheint sogar eher dazu beizutragen, dass Hautfarben, Religionen und Sexualitäten wieder zentrale Entscheidungskriterien für Jobbesetzungen und in einem inhaltlichen Kontext von Film und Fernsehen in Teilen sogar tabuisiert werden.
Auswirkungen und Kritik
Die Praxis des "Woke Washing" hat verschiedene negative Auswirkungen. Erstens untergräbt sie echte Anstrengungen zur Förderung von Diversität und Inklusion. Wenn Diversität lediglich als Marketingstrategie genutzt wird, ohne dass sie authentisch integriert wird, kann dies dazu führen, dass echte Bestrebungen zur sozialen Gerechtigkeit abgeschwächt werden.
Zweitens kann "Woke Washing" das Vertrauen des Publikums untergraben. Wenn Zuschauer und Spieler merken, dass Diversität nur aus Imagegründen eingeführt wurde, fühlen sie sich möglicherweise betrogen oder manipuliert. Dies kann zu einer stärkeren Polarisierung führen und die Diskussionen um Diversität und Inklusion weiter erschweren.
Reviewbombing und großer Groll - Disney hat sich beim Marketing für "The Acolyte" ein Eigentor geschossen. (Bildquelle: Forbes Magazine)
Dieses Phänomen ließ sich zuletzt gut bei Star Wars: The Acolyte verfolgen. Disney hat es im vorliegenden Fall mit zweifelhaftem Marketing und einem durchgehenden Fokus auf maximale Diversität (es gab wohl kaum ein Interview, in dem von den Machern im Vorfeld des Releases nicht darüber gesprochen wurde, dass Star Wars noch nie so "woke" war) geschafft, den Fokus der Zuschauer nicht auf Charaktere und Handlung, sondern politische Debatten zu lenken. Kein Fan wollte das.
Deutlich wurde das an den Zuschauer-Reviews zur Serie. Rechte Trolle hatten in dem Klima aus Enttäuschung und Wut echter Fans leichtes Spiel und konnten Hass und Hetze in die Debatte streuen. Die Serienmacher reagierten hierauf einmal mehr völlig unpassend und nahmen den Hass einzelner zum Anlass um eine ganze Fanbase ins rechte Lager einzuordnen und Kritik am Machwerk "The Acolyte" grundsätzlich als Hate abzutun.
Fazit
"Woke Washing" ist ein ernstes Problem, das die Diskussion um Diversität und Inklusion in der Unterhaltungsindustrie verzerrt. Während es auf den ersten Blick positiv erscheint, dass mehr diverse Charaktere in Filmen, Serien und Videospielen auftauchen, zeigt sich bei genauerer Betrachtung oft, dass diese Darstellungen oberflächlich bleiben und nicht die notwendigen tiefgreifenden Veränderungen in der Industrie widerspiegeln. Es ist aber wichtig, dass diese Themen mit der nötigen Sorgfalt und Authentizität behandelt werden, um echte Fortschritte zu erzielen.
Es kann nicht sein, dass freie Gesellschaften im 21. Jahrhundert ihre Kultur- und Kunstszenen mit Regelwerken einschränken, die freies Schaffen und freies Denken einschränken. Schauspielerinnen und Schauspieler, Filmschaffende und Videospielentwickler jedweder Herkunft und Religion sollten uneingeschränkt im Rahmen der Kunstfreiheit arbeiten dürfen, ohne dass ihnen dabei von Großkonzernen Leitlinien für die Inhalte ihrer Werke vorgeschrieben werden.
Toleranz und Vielfalt können nur langsam wachsen und müssen stets verteidigt werden. Vorurteile können sich nur langsam abbauen. Ein Kulturkampf mit der Brechstange führt letztlich zu mehr Hass und Hetze. Das lässt sich in den USA am besten beobachten. Es gilt sich davon loszulösen. Filme, Serien und Videospiele haben das Potenzial uns Menschen näher zusammenzubringen. Dieses gilt es mit gut geschriebenen Protagonisten und spannenden Erzählungen zu nutzen.
Über den Verfasser:
Flo aka Stack (21) ist Student,
Spiele-Enthusiast und Lokaljournalist.
Seit dem 16. Februar 2019 ist er
Mitglied der EGM-Community.
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